Liebe Leserin, lieber Leser,
wir beginnen etwas Neues: Von nun an stellen wir zweimal im Jahr fünf Positionen aus Kunst und Kultur zu einer Frage der Gegenwart vor. Fragen zu stellen ist ein essentieller Teil unserer Arbeit. Dadurch können wir besser verstehen, was die Kulturszene gerade bewegt und welche anderen Perspektiven es auf die Themen gibt, die auch uns beschäftigen.
Für unsere erste Ausgabe von fünf zu eins haben wir uns von der Philosophin Hannah Arendt leiten lassen. Wir fragen: Wie weitergehen, wenn der Weg verstellt scheint? Diese Frage ist kein wörtliches Zitat von Arendt, ehrt aber den Grundgedanken ihres 1958 erschienen Hauptwerks „Vita activa oder Vom tätigen Leben“: Handeln bedeutet Freiheit. Es ist die Möglichkeit, etwas Neues zu beginnen und etwas in der Welt zu verändern, auch unter widrigen Umständen.
Gerade jetzt scheint es uns lohnend, diesen Gedanken wieder aufzugreifen. Welche Verantwortung und welche Handlungsmöglichkeiten haben wir als Einzelne und als Gemeinschaft? Für Arendt stand fest, dass Handeln auch bedeuten kann, im offenen Gespräch mit anderen zu bleiben, sich gegenseitig intellektuell herauszufordern und das besondere Miteinander zu gestalten, das daraus entsteht. Aus ihrer Sicht sind wir immer politisch Handelnde unserer Gegenwart – selbst dann, wenn der Gestaltungsspielraum vermeintlich gering ist.
Der Künstler Htein Lin geriet 1998 in eine nahezu ausweglose Situation, als ihn das Militärregime in Myanmar verhaftete und zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilte. In der Haft fand er jedoch Mittel, Wege und Verbündete, um künstlerisch tätig zu bleiben. In seiner Situation war es eine widerständige Praxis, mit Seife, Stoffen und Farben Kunst zu schaffen.
Die Filmemacherin Susann Maria Hempel fragt sich in ihrer audiovisuellen Arbeit, ob ihr Beruf als Künstlerin angesichts klimatischer Katastrophen, politischer Umbrüche und ökonomischer Härten zukunftsweisend ist. Maxi Obexer reflektiert in ihrem literarischen Essay, welche Rolle Kunst und Sprache in existenziellen und politischen Krisen spielen und wie sich ihr künstlerisches Schaffen durch ihr gesellschaftliches Engagement verändert hat. Um rechtspopulistische Kampagnen und rechtsextreme Angriffe auf Kultureinrichtungen geht es im Interview mit dem Psychologen Tobias Rothmund, der aufzeigt, wo die Grenzen des Dialogs sind – und wo man noch auf Verständigung hoffen sollte. Um Hoffnung geht es auch Payal Arora in ihrem Kommentar: Während viele in Europa die sozialen Medien mittlerweile als demokratiefeindlich betrachten, sieht die Anthropologin in ihnen weiterhin rare Räume der Selbstverwirklichung für Menschen in illiberalen Gesellschaften.
Was wir aus allen fünf Positionen mitnehmen: Es sind viele kleine Veränderungen, die das Ende der Welt noch ein wenig vertagen. In diesem Sinne – bleiben wir Handelnde.
Ihre
Katarzyna Wielga-Skolimowska
Kirsten Haß
Vorstand der Kulturstiftung des Bundes