Kulturstiftung des Bundes
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Nr. 1/2025

Über
Angriffe, Kampagnen und Dialog

Tobias Rothmund

Interview

Lesezeit 6 min.

Wie können Kultureinrichtungen ihre Arbeit fortsetzen, wenn sie durch rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure angegriffen und bedroht werden? Tobias Rothmund, Kommunikations- und Medienpsychologe an der Universität Jena, über die Stellvertreterfunktion der Kultur, symbolische Gewalt und Pfade, die aus der Scheinkommunikation in politischen Auseinandersetzungen hinausführen können.

Kulturstiftung des BundesKSB

Tobias RothmundTR

KSB

In den vergangenen Jahren wurde auch in Deutschland immer öfter über Angriffe auf Kulturinstitutionen durch antidemokratische Akteure berichtet. Wie hat die Öffentlichkeit diese Vorfälle aufgenommen?

TR

Aus meiner Sicht wurden solche Fälle in der breiteren medialen Debatte nicht spezifisch als Bedrohung für den Kulturbetrieb aufgefasst, sondern so diskutiert wie auch Angriffe auf Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf oder auf politische Institutionen. Die mediale Reaktion darauf ist ähnlich.

KSB

Zu den extremsten Beispielen gehören Angriffe wie Brandanschläge und andere Formen von Sachbeschädigung, davon waren insbesondere Gedenkstätten in den letzten Jahren betroffen. Aber es gibt auch subtilere Fälle – wie sieht die mediale Reaktion, von der Sie sprechen, darauf jeweils aus?

TR

Eindeutige Formen der Gewalt gegen öffentliche Personen oder Institutionen werden von allen Seiten verurteilt. Es gibt selten jemanden, der solche Angriffe öffentlich verteidigt. Zumindest vordergründig kommen hier eine Art Common Sense und eine gemeinsame Wertegrundlage zum Ausdruck. Wenn es allerdings um weniger eindeutige Fälle geht, um Provokationen, Drohgebärden und ähnliches, da wird es kontrovers. Und es ist ein bekanntes Schema, dass gerade rechtsextreme Akteure den Spielraum ausloten. Also: Wie weit können sie gehen, um eine Aussage, eine Haltung oder eine Handlung noch im mehrdeutigen Diskursraum zu verorten? Diese Akteure versuchen, aggressive Formen der Kommunikation in der öffentlichen Debatte zu normalisieren.

KSB

In manchen Fällen kommt es zu Gewalt oder Morddrohungen gegen Personen, etwa gegen Verantwortliche von Bühnenstücken. Warum richtet sich die Hetze oft auch gegen Künstlerinnen und Künstler?

TR

Es geht im Kern nicht um die individuelle Person, gegen die sich die Gewalt richtet, sondern um das, wofür sie steht. Also um das, was sie durch ihr Werk, durch ihre Arbeit verkörpert. Es ist ein Merkmal von politischer Gewalt, dass ihr Ziel symbolisch ist. Das heißt nicht, dass die Person nicht in Gefahr ist. Der symbolische Charakter der Gewalt erklärt jedoch, weswegen Leute sich so äußern oder verhalten, ohne die Künstlerin oder den Künstler zu kennen oder deren Arbeit gesehen zu haben. Aktuell lässt sich besonders beobachten, wie populistische und rechtsextreme Akteure kulturelle Ereignisse oder Personen instrumentalisieren, die im Konflikt mit ihrer Ideologie stehen.

KSB

Können Sie diesen Konflikt näher beschreiben?

TR

Im Falle von Rechtsextremen kann man das ganz eindeutig beschreiben: Sie sind gegen jede Form von liberalem Denken und Handeln. Und ihre Vorstellung von Gesellschaft steht im Gegensatz zu dem, was freiheitliche Kultur- und Bildungseinrichtungen ausmacht. Denn schließlich verstehen diese sich als Orte, an denen offenes und freies Denken praktiziert wird. Als Räume, in denen geschlossene Weltbilder infrage gestellt werden, an denen man andere Perspektiven einnehmen kann und auch kontroverse und Minderheitenpositionen Raum bekommen. Deswegen sind Kulturinstitutionen auch grundsätzlich Orte, in denen um gesellschaftliche Fragen gerungen wird.

KSB

Ein Ringen um Inhalte und eine konstruktive Kritik gehören zum demokratischen Diskurs. Wie lassen sich die Mechanismen von politischen Kampagnen, die zum Diskurs beitragen, von antidemokratischen Kampagnen unterscheiden?

TR

Öffentliche Kritik an Kulturinstitutionen muss nicht nur toleriert werden, sie ist sogar erwünscht, denn mit ihr werden Positionen zu Kultur, Politik und Gesellschaft demokratisch ausgehandelt. Antidemokratische und insbesondere rechtspopulistische Kritik zielt aber nicht auf einen kritischen Diskurs von Positionen ab. Es findet keine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung statt, sondern eine Skandalisierung. Diese dient als Instrument, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen und Wählergruppen zu mobilisieren – besonders in sozialen Medien. Das ist der strategische Kern dieser Art von Scheinkommunikation, bei der lokale kulturelle Ereignisse als vermeintlicher Ausdruck eines kulturellen Verfalls interpretiert und dramatisiert werden. Dadurch werden – im Sinne des Soziologen Steffen Mau – Triggerpunkte in Teilen der politischen Öffentlichkeit aktiviert, was in sozialen Medien keinen kritischen Diskurs, sondern in erster Linie pauschalisierende Empörungsdynamiken auslöst.

KSB

Sollte man verschiedene Gruppen, die sich an solchen Kampagnen beteiligen, unterscheiden?

TR

Es gibt mindestens zwei Gruppen: Zum einen die aktivistisch oder politisch motivierte Gruppe, die Kampagnen vornehmlich aus ideologischen Motiven vorantreibt. Bei dieser Gruppe sollte man nicht auf einen konstruktiven Dialog hoffen. Auf der anderen Seite stehen Personen, die diese öffentlichen Kommunikationsvorgänge quasi aus einer Zuschauerrolle verfolgen. Bei dieser Gruppe wäre, je nach spezifischem Kontext, eine andere kommunikative Haltung hilfreich. Denn die zweite Gruppe ist oft noch zu einem Gespräch bereit und im Dialog erreichbar.

KSB

Haben Sie ein Beispiel, um das anschaulicher zu machen?

TR

Um bei Kampagnen aus dem rechtspopulistischen oder rechtsextremen Spektrum zu bleiben: Wenn sie sich gegen ein Theaterstück richten, in dem Transsexualität oder geschlechtliche Vielfalt dargestellt wird, darf man sich gar keine Illusionen machen. Da geht es der ersten, der ideologisch motivierten Gruppe um eine harte politische Auseinandersetzung und um Deutungshoheiten. Man würde gar nichts erreichen, wenn man hier das Gespräch sucht. Aber so ein Programm kann ja auch bei vielen Menschen mit traditionellen Wertvorstellungen Widerstand auslösen, weil sie etwa von den Darstellungen von Sexualität in der Kunst aufgewühlt sind und mit Emotionen konfrontiert werden, die ihnen Unbehagen bereiten. In solchen Fällen kann ein dialogisches Format durchaus möglich und sinnvoll sein, um in einen echten Austausch zu gelangen.

KSB

Wie würden Sie die kommunikative Haltung beschreiben, die Kultureinrichtungen gegenüber dieser zweiten Gruppe einnehmen könnten?

TR

Meinem Eindruck nach sind die Narrative in diesen Auseinandersetzungen häufig schematisch und zu wenig komplex, und zwar zuweilen auch von Seiten der Kulturinstitutionen. Vor den Landtagswahlen 2024 haben Akteure aus dem Kultur- und Wissenschaftsbereich – zwischen den beiden Bereichen sehe ich Parallelen – mit gutem Willen versucht, in den Dialog zu gehen mit Leuten, die offen sind für rechtspopulistische oder rechtsextreme Positionen. Die Kommunikation ist aber zum Teil paternalistisch, nach dem Motto: „Wir wissen, dass wir auf der richtigen Seite stehen und versuchen mal denen zu helfen, die irregeleitet sind.“ Ich glaube, eine solche Haltung löst starke Widerstände aus, da sie eine intellektuelle oder moralische Überlegenheit suggeriert. Niemand will gern die Welt erklärt bekommen. Insofern wäre mein Appell, kommunikative Kontexte im Umgang mit politisch Andersdenkenden offener zu verstehen und angepasst an die spezifische Situation zu gestalten.

KSB

Das ist ein wichtiger Punkt: Aber ein vertraulicher Dialog mit Kolleginnen, die andere Überzeugungen haben, ist etwas völlig anderes als etwa ein öffentlicher Angriff mit einer ideologisch motivierten Kampagne, auf die man reagieren will. Wie lässt sich im Einzelfall feststellen, wann sich die inhaltliche Auseinandersetzung lohnt und wann nicht?

TR

Sie haben die Pole gut beschrieben: Im ersten Beispiel gibt es einen offenen und ehrlichen Dialog, in dem man versucht, voneinander zu lernen und Positionen auszutauschen. Und im zweiten Beispiel eine Scheinkommunikation, die sich in erster Linie an Dritte oder sich selbst richtet. Damit meine ich, dass es nicht um eine Verständigung geht, sondern um Loyalitäten und Identitäten. Unabhängig von der politischen Einstellung kommunizieren Menschen ja oft auch, um sich selbst zu vergewissern – wer sie sind, was sie wollen, wie sie argumentieren. Deswegen ist es wichtig, sich selbst zu fragen: Welche Motive habe ich – etwa als Leiterin eines Theaters im Dialog mit kritischen Stimmen in meiner Kommune – in dieser Kommunikation eigentlich? Welches Anliegen hat mein Gegenüber? Gibt es die Möglichkeit für einen Austausch oder nicht? Das kann ein Türöffner für einen Dialog sein. Es gibt viele unterschiedliche Kontexte, in denen jeweils andere Formen von Kommunikation zielführend sind. Das heißt, man muss im besten Fall neue Ansätze entwickeln und Wege beschreiten, die eben noch nicht vorgezeichnet sind. Die eigene Reaktion auf kommunikative Angriffe jeweils bewusst zu gestalten, kostet sehr viel Kraft. Es liegt hierin aber auch eine Freiheit, sich einerseits nicht von jeder Provokation unter Druck setzen zu lassen und andererseits Gesprächssituationen nicht vorschnell aufzugeben.

KSB

Würden Sie sagen, dass die Kommunikation der Kulturschaffenden in politischen Auseinandersetzungen zu sehr in Richtung der eigenen Szene gedacht wird?

TR

Bis zu einem gewissen Maße ist das normal, aber es wird problematisch, wenn Kulturschaffende in politischen Auseinandersetzungen vor allem in Gewissheiten kommunizieren. Wenn es Dinge gibt, die nicht mehr angemessen besprochen und begründet werden. Etwa eine Aussage wie: „Über Artikel 1 des Grundgesetzes diskutiere ich nicht.“ Das mag im ersten Moment sympathisch erscheinen, aber ich denke, man muss dafür werben, und zwar im Dialog. Man muss den Leuten, die das hinterfragen, begründen können, warum das ein zentraler Artikel im Grundgesetz ist und was wir darunter verstehen. Sonst erachtet man die Demokratie als gegeben. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass aus der eigenen Community schnell Kritik kommt, wenn man bestimmte Gewissheiten nicht wie eine Monstranz vor sich herträgt. Ich glaube aber, dass uns das nicht weiterbringt. Denn in der Zwischenzeit bröckeln uns an allen Ecken und Enden diese Gewissheiten weg. Und dann?

KSB

Was schlagen Sie Kulturinstitutionen vor, um andere Wege in der Kommunikation zu finden?

TR

Vielleicht sind die folgenden Fragen hilfreich: Was ist das positive Bild, das wir in die Öffentlichkeit transportieren wollen? Wie können wir Gesprächskontexte herstellen, um gemeinsam über Kunst zu reflektieren? Wie können wir mit einer kritischen Öffentlichkeit in einen offenen Dialog kommen? Eine aktuell häufig defensive Haltung gibt den negativen Bildern, die besonders durch rechtsextreme Kräfte gezeichnet werden, oft zusätzliche Reichweite. Und jedes Theater, jede Bibliothek, jedes Museum sollte auch die Menschen im Blick behalten, die vollkommen andere Auffassungen haben als sie selbst, aber gesprächsbereit sind – und sie immer wieder neu davon überzeugen, dass die Freiheit von Kunst und Kultur generell eine sinnvolle Sache ist. Wenn man in dieser Logik denkt, dann können daraus neue Ansätze der Kommunikation entstehen, kleine Trampelpfade, um aus dem Schema der Scheinkommunikation auszubrechen und echten Austausch zu ermöglichen.

Das Interview führte die Redaktion von fünf zu eins.

Tobias Rothmund ist Kommunikations- und Medienpsychologe und forscht im Bereich der politischen Psychologie u.a. zu Radikalisierungsdynamiken in den sozialen Medien. Seit 2018 ist er Professor an der Universität Jena und leitet dort das Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration.